decoy - Konzept
"Irgendwo wohnen Daten immer."
Daten mögen zwar mittels Internet global verfügbar sein,
gespeichert sind diese jedoch immer an einem bestimmten geographischen
Ort.
Räumlich fassbar bleibt jedoch zumeist nur der Endknoten des
jeweiligen Netztes: die LAN-Steckdose, das Modem, das Handy, etc..
Neben Kabelverbindungen liegt über Siedlungsräumen ein
dichtes Netz von Funkverbindungen.
Man könnte sich deren Sendestationen als überlappende
Datenblasen mit dem Radius der jeweiligen Reichweite vorstellen.
Ziel von decoy ist es in diesem unsichtbaren lokalen
Datenraum bestimmte Punkte zu markieren, die selber wieder den (urbanen)
Realraum referenzieren.
Hierfür werden Bluetooth-Server mit einer Reichweite von etwa
10 Metern im öffentlichen Raum "versteckt", die mit
vorüberziehenden Geräten (und damit auch mit deren BenutzerInnen)
kommunizieren.
Der Prototyp eines solchen Servers ist 10 x 15 x 7 cm groß
und batteriebetrieben. Theoretisch könnte er natürlich
viel kleiner sein.
Die geringe Reichweite ist in diesem Fall kein Nachteil, sondern
sie macht das genaue Markieren von bestimmten Orten erst möglich.
Mit Bluetooth-fähigen Handys, Laptops oder PDAs nimmt dieser
kleine Bluetoothserver automatisch Verbindung auf, und verschickt
(so die BenutzerIn das will) den jeweiligen Kommentar, eine digitale
Grafik oder ein digitales Bild zum Ort oder eine einfache Handlungsanweisung.
Es handelt sich also um eine Art von unsichtbaren "Denkmälern",
Graffitis oder Wegweiser (waypoints), die sich erst durch
das Handy in der Tasche manifestieren.
Mit der Verwendung des Begriffes "decoy"
ist auch ganz bewusst dessen militärische Konutation gemeint:
ein Köder oder eine Form von Tarnung, die dazu bestimmt ist,
angreifende Waffen vom eigentlichen Ziel abzulenken; etwa extrem
heisse Leuchtkörper, die von Flugzeugen oder Helikoptern abgeschossen
werden, um nahende feindliche, auf Hitze reagierende Raketen zu
verwirren.
mobile devices
Selbst wenn nicht jedes Handy Bluetooth unterstützt oder Bluetooth
bei vielen Geräten ausgeschaltet ist, so sind doch ausreichend
funktionsfähige Enderäte verfügbar. Die Möglichkeit
mittels dieser Geräte mit Menschen im öffentlichen Raum
zu kommunizieren erlaubt einen sehr direkten Zugang.
Das Mobiltelefon ist ein sehr persönlicher Gegenstand. Man
trägt es zumeist am Körper und hat es so gut wie immer
dabei. Neben seiner Bedeutung als nach wie vor wichtigstes Kommunikationsmittel,
ist das Handy mittlerweile auch modisches Accessoire. Es erfüllt
in diesem Sinne eine ähnliche repräsentative Funktion,
wie sie die Armbanduhr inne hat(te).
Eine eigene Contentindustrie lebt davon, durch Hardwaretuning, Klingeltöne
und Displayhintergründe BenutzerInnen dabei zu helfen, ihr
Handy "persönlich" zu gestalten, es zu "individualisieren".
"personal area networks", Bluetooth und
die "sphere of proximity"
Zum näheren Verständnis der Arbeit möchte ich ein
wenig auf Bluetooth und personal area networks eingehen.
Netzwerke
Netzwerke werden nach ihrer Größe unterschieden:
Von "Wide area networks" (WANs) spricht man,
wenn sie eine Fläche größer als eine Stadt abdecken.
"Metropolitan area networks" decken eine Stadt
oder ein bestimmtes Gebiet innerhalb einer Stadt ab.
Das "Local area network" (LAN), ist wohl die
bekannteste Form eines Netzwerkes. LANs werden verwendet um mehrere
Computer innerhalb oder zwischen wenigen Gebäuden zu verbinden.
Der Standard momentan hierbei ist Ethernet, jedoch gewinnen Funkbverbiindungen,
also WLANs (wireless-LANs oder auch WiFi-networks genannt) an Popularität.
WLAN Empfänger/Sender sind in vielen Notebooks oder PDAs mittlerweile
integriert.
Der Standard hierzu heisst IEEE 802.11.
WLAN funkt in einem lizenzfreiem Frequenzband zwischen 2.4000 und
2.4835 GHz.
Dieses Frequenzband teilen sich verschiedenste Arten von Geräten:
Amateur-Satelliten, Mikrowellenofen und neben WLAN auch andere drahtlose
Netzwerktechniken, unter anderem auch Bluetooth.
Eine relativ junge Kategorie in den Netzwerktechniken ist das "personal
area networking" (PAN). Diese Netzwerke umspannen ein
Gebiet von nur wenigen Metern um eine Person. In etwa ein Radius
von 10 Metern, der auch die "sphere of proximity"
genannt wird.
PANs werden verwendet um diverse elektronische Geräte des Benutzers
zu verbinden: Laptop, Handy, PDA, mobile Freisprecheinrichtung,
Drucker, etc..
Das eigene "personal area network" kann sich
innerhalb der "sphere of proximity" auch mit
dem PAN einer anderen Person, oder genaugenommen mit einem anderen,
unbekannten Gerät einer anderen Person verbinden.
Bis vor einiger Zeit wurde für "personal area networks"
fast ausschließlich Infrarot als Übertragungstechnik
verwendet, zumeist nach dem Standard der Infrared Data Association
(IrDA).
Infrarot-Verbindungen setzen jedoch eine Sichtverbindung voraus
und haben eine noch kürzere Reichweite als Bluetooth.
Deshalb und auch aus Gründen der eher eingeschränkten
Bandbreite wechseln "personal area networks"
immer mehr zu Funktechnologien.
Im vergleich zu WLANs kommen PANs dabei mit wesentlich schwächeren
Sendern aus, da die kommunizierenden Geräte nicht weit von
einander entfernt sein sollten.
Ein weiterer Unterschied zwischen WLAN und PAN ist auch, dass es
sich bei den zustandekommenden Verbindungen oft nur um temporäre
handelt. Solche Verbindungen müssen schnell aufgebaut werden
können und oft ohne, dass das eine Gerät die Funktionsweise
und die vorhandenen Protokolle des anderen Gerätes im vorhinein
kennt.
PANs sind also oft ad- hoc-Netzwerke, d.h., dass ein node
sich mit einem anderen node je nach Bedarf verbindet.
Bluetooth
Das derzeit übliche Funkdatenübertragungsprotokoll für
PANs ist Bluetooth.
Doch weshalb heißt Bluetooth ausgerechnet Bluetooth?
Als Namenspate stand ein dänischer König namens Harald
Blauzahn. Dieser Herrscher war nicht nur für seine Vorliebe
für Heidelbeeren bekannt, sondern auch dafür, dass er
als erster Norwegen und Dänemark unter seiner Herrschaft vereinigte.
Was hat das nun mit Datenübertragung zu tun? Nun, genau wie
Harald Blauzahn die Königreiche vereinte, soll auch Bluetooth
die verschiedenartigsten Geräte unter einem Standard vereinen.
Oder so dachten sich dies wahrschenlich die Namensgeber.
Bluetooth verwendet das selbe Frequenzband wie IEEE 802.11, WLAN.
Bluetooth ist jedoch kein festgeschriebener Standard sondern das
Produkt eines Industrie-Konsortiums, das Geräte bzw. Chipsätze
lizensiert.
Bluetooth eignet sich besser für persönliche Netzwerke
als IEEE 802.11, da es wie oben erwähnt einen geringeren Energieverbrauch
hat und von Grund auf für ad-hoc-Netzwerke konzipiert wurde.
Die Bluetooth Sendeleistung beträgt je nach Geräteklasse
entweder 100 mW (class 1) oder 1 mW (class 2). Zum Vergleich: Ein
Handy hat eine Sendeleistung von etwa 2 Watt.
Bluetooth class 1 hat ca. 100 Meter Reichweite, class 2 nur 10 Meter.
Die meisten herkömmlichen am Markt befindlichen Geräte
(Handys, Laptops, PDAs) sind class 2.
Die Tatsache, dass ein Gerät Bluetooth unterstützt, sagt
noch nichts über die dafür implementierten Protokolle
aus.
Ohne auf andere wichtige Protokolle einzugehen, möchte ich
die bei decoy verwendeten kurz zusammenfassen:
"Device Disovery": ermöglicht das auffinden
von Bluetooth-geräten innerhalb der Reichweite.
"Service Discovery Application Profile" : findet am jeweiligen
Remote-Gerät die angebotenen Services.
"Generic Object Exchange Profile (GOEP)": definiert
die Voraussetzungen für den Ausstausch von Objekten. Wobei
eines der geräte als Server fungiert, d.h. Speicherplatz und/oder
Dateien zur Verfügung stellt (in etwa wie ein HTTP-server).
"Object Push Profile": ähnlich der HTTP-put
methode, ein einfacher one-way Dateitransfer. Setzt auf GOEP auf.
object push ist ursprünglich nur dafür gedacht, Visitenkarten,
Kalendertermine oder kurze Notizen zu übertragen. Viele Handys
verwenden es jedoch auch zur Übertragung von anderen Dateien,
etwa Bildern, Klingeltönen oder Spielen.
Spiel und Spass mit Bluetooth
Ursprünglich als Ersatz für lästige kabel gedacht,
wird Bluetooth (wie so viele andere Technologien) natürlich
auch “zweckentfremdet“ verwendet.
Abgesehen vom Aufdecken bzw. Ausnützen mannigfach vorhandener
Sicherheitslücken vor allem bei Handys, ist "bluejacking"
bei Jugendlichen ein beliebter Zeitvertreib.
Ziel beim "bluejacking" ist es, unbekannten
Besitzern eines Bluetooth-Gerätes innerhalb der sphere
of proximity Nachrichten zukommen zu lassen.
Zu diesem Zweck begiebt man sich an einen belebten Ort, z.B. in
einen U-Bahn-Wagon, legt auf seinem Handy einen Adresseintrag mit
der gewünschten Nachricht als Namen an, sucht vorhandene Bluetooth-Devices
und lässt ihnen diese Nachricht zukommen.
Es handelt sich also um eine Art von Spam für die nähere
Umgebung.
Von einer Anonymität des Versenders kann man in diesem Zusammenhang
jedoch kaum sprechen, da ja der Absender nicht weiter als 10 meter
vom empfänger entfernt sein kann, und sich zumeist im selben
Raum befinden wird. Die Reaktion des Empfängers zu sehen, ist
ja das eigentliche Vergnügen des Senders.
In diesem sinn handelt es sich bei decoy auch
um einen Lockvogel für "bluejacker".
decoy vs. bluejacking
Ich bin deshalb auf die technischen Grundlagen von Bluetooth bzw.
PANs näher eingegangen, weil darauf auch die konzeptionellen
Vorarbeiten zu decoy basieren.
Im Prinzip ist die Funktionsweise des decoy-Servers
nicht so unterschiedlich, wie die der BenutzerIn beim bluejacking.
Der Server sucht Bluetooth-Geräte in seiner näheren Umgebung.
falls welche gefunden wurden, stellt der Server fest, welche Protokolle
unterstützt werden. So ein object push möglich ist, wird
weiters untersucht, ob auch digitale Bilder verschickt werden können,
oder nur digitale Visitenkarten (das von allen object-push-Geräten
unterstützte Dateiformat). Anschließend versucht der
Server eine Grafik oder, falls nicht anders möglich, seine
Visitenkarte zu verschicken.
Auf einen decoy-Server können jedoch auch
Benutzer Daten raufladen. Dies ermöglicht zum Beispiel zeitversetze
Kommunikation mit anderen BenutzerInnen.
decoy vs. realraum
decoy-Server markieren Punkte im Realraum, wie
Stecknadeln in einer Landkarte, nur dass erstere im Realraum auch
ankommen.
Ein decoy gibt einem bestimmten Ort seine digitale
Adresse, einen möglichen digitalen Namen.
Die von den Servern gesendeten Nachrichten zeigen jedoch auch Verbindungen
zu weiteren decoy-Punkten, in diesem Sinne kann
decoy auch eine Fläche aufspannen.
Im Unterschied zu einer im Realraum angebrachten Tafel, ist es dadurch,
dass über den Realraum so etwas wie ein digitaler Layer gelegt
wird möglich, einen Ort zu Beschreiben ohne diesen Ort auch
zu verändern.
Dadurch dass jemand eine Grafik oder Textnachricht erhält,
wird diese natürlich auch vervielfältigt und durch die
Bewegung des/der EmpfängerIn auch geographisch verbreitet.
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